Der Job und seine Schattenseiten

Das ist keine Anekdote aus meinem Taxi, sondern meine Gedanken zum Job als Taxifahrer:

Es war gegen 21.50 Uhr als an jedem Abend ein Fahrgast am Hauptbahnhof in mein Taxi stieg und mir eine Zieladresse in der Neustadt nannte. Die Fahrt verlief ganz normal,
bisschen Smalltalk, wie jede übliche Taxifahrt…

Es war ungefähr 10 Minuten früher, als 2 junge Männer in ein Taxi am Hauptbahnhof stiegen und sich nach Oslebshausen haben fahren lassen. Danach haben Sie mit einem Messer auf den Kollegen eingestochen und seine Einnahmen geraubt.

Gegen 22.05 Uhr war ich gut gelaunt unterwegs richtung Innenstadt. Der Kollege rief paar kilometer weiter um diese Zeit schwerverletzt den Notruf und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei ermittelt nun wegen versuchten Mord. Polizeimeldung

Dieser Kollege stand in derselben Taxischlange wie ich und war nur 2 oder 3 Wagenlängen vor mir. Ich muss ehrlich gestehen, dass mir der Schreck immernoch in den Knochen steckt. An dieser Stelle kommt man automatisch ins grübeln – denn es kann sehr schnell gehen und man ist selbst mittendrin in so einem Szenario.

Was wäre wenn die vorherigen Touren anders gelaufen wären? Bevor ich mich gegen 21 Uhr an den Hauptbahnhof angestellt habe, hatte ich eine ältere Dame im Taxi. Sie hatte nicht genügend Geld bei sich gehabt und deswegen mussten wir einen Umweg über eine Bank machen. Und wenn Sie ausreichend Geld dabei gehabt hätte? Oder wenn ich auf der Rückfahrt nur grüne Ampeln gehabt hätte? Oder keinen „schleicher“ der mit Tempo 30, anstatt erlaubten Tepo 50 vor mir fuhr? Dann wäre ich am Bahnhof früher gewesen und die beiden Räuber wären vermutlich in meinem Taxi gewesen.

Ich mag darüber gar nicht mehr nachdenken – Taxifahren ist ein Job mit gewissen Risiko, schon klar. Überfälle kommen vor, aber haben bisher nie wirklich eine Rolle gespielt.
Die Verkäuferin an der Supermarktkasse oder Tankstelle denkt vermutlich auch nicht jeden tag darüber nach.

Für mich war das nie ein Thema gewesen. Erst jetzt dämmert mir womöglich, dass meine Arbeitsweise unter umständen als zu Risikofreudig angesehen werden könnte.
Ich fahre nachts gerne in Gegenden, die man in Bremen als „sozialen Brennpunkt“ bezeichnet…wo keiner Abends gerne alleine unterwegs ist.  Ich stelle mich an Taxiplätze, an denen oft nur südländische Kollegen stehen und die von deutschen Kollegen gerne gemieden werden. Es ist mir als „weißer deutscher“ egal. Ich studiere gerne die Großstadt
und liebe die Nacht. Ich war bislang immer komplett unbekümmert, was irgendwelche Risiken anging. Wenn ich nachts durch die leeren Straßen der Hansestadt cruise, sehe ich viele Menschen und Seelen, bei denen ich mir die Frage stelle „was geht bei dir ab? Warum bist du jetzt noch hier so spät unterwegs? Was geht in Dir vor?“

Ich bin anonym. Ich habe keinen Namen. Meine Fahrgäste nennen mich „Fahrer“ oder „Taxifahrer“. Das ist meine Geschichte, einen weiteren Rollennamen brauche ich nicht.
Ich merke inzwischen, dass ich kühler und distanzierter geworden bin. Nachts ist die Großstadt und Ihre Einwohner ehrlich. Man blickt manchmal in Abgründe und das Schattensein von Mensch und Großstadt. Das ist okay, ich habe nur die Rolle als Dienstleister und Beobachter. Ich fühle mich dort ziemlich wohl. Aber ich befürchte, dass mich das langsam runterzieht. Der Job bringt einen „magischen Sog“ mit,
dem man verfallen kann. Ich hoffe, dass mir das nicht wiederfahren wird. Vielleicht bin ich aber auch schon mittendrin und habe es nur noch nicht gemerkt.

4 Gedanken zu „Der Job und seine Schattenseiten

  1. Ja so ist das in unserem Job. Ich bin auch nachts unterwegs. Ich stehe aber nicht in den typischen Gegenden….. hier bei uns Kreuzberg am Kotti, oder Wedding. Meine Zentralverriegelung ist immer aktiv und ich schaue mir die Leute an. Ich lass schon mal die Tür zu und lehne auch eine Tour ab wenn mein Gefühl das sagt. Aber man kann nicht jeden, bei dem man ein ungutes Gefühl hat, stehenlassen. Ich bin immer wach am Halteplatz. Lese und schlafe nicht sondern beobachte was so in der näheren Umgebung passiert. Dadurch habe ich schon so manches mitbekommen und dann ggf. nicht geladen. Oft sind es nur Betrunkene oder Streithähne die auf Krawall aus sind. Oft Jugendliche. Ich will keinen Stress durch irgendwen der nicht klarkommt mit sich. Überfallen werden narürlich schon gar nicht.
    Doch das Risiko gehört nun mal zu unserem Beruf. Ich bin in 17 Jahren auf dem Bock recht hart geworden. Es gäbe keine Alternative für mich, mit 55 Jahren.
    Aber ich finden diesen Beruf nach wie vor interessant. Man kann die Menschen studieren, wie sie ticken. Ich frage meine Fahrgäste immer was bei ihnen war und so. Unglaublich was die Menschen teils leben. Und fast alle reden auch. Trotz der Gefahr die mitfährt – und bei mir die fehlenden Alternativen – bin ich sehr gerne in diesem Beruf.

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  2. Du schreibst es schon:
    „Die Verkäuferin an der Supermarktkasse oder Tankstelle denkt vermutlich auch nicht jeden tag darüber nach.“
    Warum auch? Wenn ich drüber nachdenke, ändere ich nichts an der Situation an sich. Sich der Gefahr bewußt sein, sollten wir ja auch im Verkehr, das ist wichtig. Und Aufmerksamkeit. Das Einschätzen von Situation vielleicht verbessern. Und überlegen, wie man in so einem Falle reagiert. Und dann eben hoffen, das nichts passiert.

    Wenn du permanent drüber nachdenkst, ggf. noch ängstlich – dann bist du schon Opfer. Und machst ggf. Fehler. Und dann sollte man wechseln.

    Vielleicht beruhigt es ja ein wenig, die Wahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen. Wie die für Unfälle im Straßenverkehr oder Haushalt etc.

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